Ehrenamt, rote Haare, Lottogewinn und wieder ein Neuanfang

Rote Haare // Als erstes fielen mir die roten Haare auf. Alle rote Haare, wie der Papa, dachte ich. Die Haare der Mama sind kastanienbraun. Doch, stopp, eines der Mädchen hat auch braune Haare und dunkle braune Augen. Die Familie stammt aus dem nördlichen Irak. Die Familienmitglieder gehören der Glaubensgemeinschaft der Jesiden an, eine ethnisch-religiöse Minderheit, von der es weltweit nur eine Million gibt.

Die zwei Erwachsenen und vier Kinder flüchteten vor dem IS nach Deutschland. Sie haben traumatisches in ihrer Heimat erlebt und eine abenteuerliche Flucht über die Balkanroute hinter sich.

Als ich sie kennenlerne, wohnen sie in einer Dortmunder Flüchtlingsunterkunft. Die Eltern Basi und Faisal mit ihren vier Mädchen Dima, Lina, Zina und Rojin. Zunächst helfe ich den Kindern in der Unterkunft bei den Hausaufgaben. Da zwei von den Mädchen bereits schulpflichtig sind, starten sie kurz nach ihrer Ankunft in der nächstgelegenen Grundschule. Natürlich brauchen sie Unterstützung. Ohne Sprachkenntnisse ist es für sie schwer mitzuhalten. Aber sie werden von Beginn an in der Schule gefördert. Zunächst bilden sie eine Auffangklasse mit weiteren geflüchteten Kindern aus der Unterkunft. Später werden sie in Regelklassen integriert. Sie lernen schnell und sind vor allem sprachlich rasch fit. Irre, wie schnell die Kinder Deutsch lernen und sich ihrer neuen Umgebung anpassen.

Nach zwei Jahren wird die Flüchtlingsunterkunft im Dortmunder Vorort geschlossen. Alle Familien bekommen eigene Wohnungen in verschiedenen Stadtteilen. Die Alleinreisenden werden auf andere Unterkünfte verteilt.

Angela // „Meine“ Familie hat mittlerweile Zuwachs bekommen. Angela wurde geboren und bekommt den Namen der deutschen Kanzlerin, die den Flüchtlingen aus Syrien und Irak im Spätsommer 2015 die Grenzen öffnete. Das werden die Eltern nie vergessen und aus Dankbarkeit soll ihre jüngste Tochter den Namen der Kanzlerin bekommen.

Ich muss schmunzeln, als ich das kleine Mädchen zum ersten Mal sehe, sie hat feuerrotes Haar, wie der Papa.

Beim Auszug der Familie aus der Flüchtlingsunterkunft übernehme ich gemeinsam mit einer anderen Frau die Patenschaft über die Familie. Viel Zeit für die Wohnungssuche bleibt nicht und so fällt die Wahl auf eine Bleibe in annehmbarer Entfernung zur Grundschule der Mädchen. Es soll ihnen kein Schulwechsel zugemutet werden. Leider ist sie nicht besonders groß und liegt an einer viel befahrenen Hauptstraße.

Und wie befürchtet ist die Wohnsituation schwierig. Zwei Erwachsene und fünf Kinder verteilt auf nur zwei (kleine) Schlafräume, das sorgt immer wieder für Probleme. Es gibt kaum Rückzugsmöglichkeit. Aber der Dortmunder Wohnungsmarkt gibt nicht viel her für große Familien, die mindestens drei, besser vier Schlafräume brauchen. Viele Wohnungsanbieter winken sofort ab, wenn ich erzähle, dass die Familie 5 Kinder hat, oder behaupten, die Wohnung sei nicht mehr zu haben.

6er im Lotto // Und dann doch: Nach fast vier Jahren gibt es auf einmal ein Angebot, das wie ein 6er im Lotto klingt. Eine Vermieterin meldet sich beim Diakonischen Werk in Dortmund, das seiner Zeit die Flüchtlingsunterkunft betrieb. Die Frau möchte einer Familie mit vielen Kindern eine Chance geben – inzwischen komplettiert der kleine Lucas die Familie, der Anfang Februar geboren wurde. Und was ganz außergewöhnlich ist: Die Wohnung ist groß, hat drei Schlafzimmern, Wohnzimmer, Küche, Bad und Balkon.

Wir machen einen Besichtigungstermin und fahren gemeinsam zur Wohnung. Sie liegt im ersten Stock. Im Parterre wohnt eine sehr nette, alleinstehende Frau. Die Wohnung unterm Dach bewohnt ein Pärchen. Gemeinsam nutzen die Hausbewohner Terrasse und Garten. Die Lage ist top und es gibt fußläufig Schulen, Geschäfte, Kindergarten. Und der Haken an der Sache? Keiner. Die Vermieterin hat einfach ein riesengroßes Herz – von hier bis zum Himmel. Die Familie und sie sind sich sofort sympathisch und werden sich schnell einig. Der Mietvertrag wird besiegelt.

Umzug // Jetzt rückt der Umzugstermin näher und die Aufregung ist besonders bei den Kindern groß.

Es ist wieder ein Neuanfang, in einem anderen Ortsteil von Dortmund, in einer ruhigen, kinderfreundlichen Umgebung mit neuen Nachbar:innen und Mitschüler:innen. Es ist eine große Chance, jetzt richtig in Deutschland anzukommen und sich gut in die neue Nachbarschaft zu integrieren.

Ich werde die Familie dabei begleiten und freue mich einfach nur für sie.