Geisterspiele oder Abbruch der Liga? Über den Fußball wird wieder gesprochen. Laut gesprochen. Weil er ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Weil Traditionsklubs von Pleiten bedroht sind. Weil Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.
Die Diskussion wird laut, weil die Deutsche Fußball Liga (DFL) in Kooperation mit allen 36 Vereinen der 1. und 2. Bundesliga medizinische Konzepte vorgelegt hat. Wie es laufen kann. Im und außerhalb des Stadions. Die Spieler und Betreuer werden quasi in eine Teilquarantäne geschickt. Ein Blase, die sie nur mit ihren engsten Familienmitgliedern teilen dürfen. Und es wird getestet. Nicht nur die Spieler, Trainer und Betreuer, sondern auch die Ehefrauen und Kinder der Profis. So will man vermeiden, dass die Akteure sich mit dem Virus infizieren und den Abbruch der Saison provozieren könnten.
Der Spielbetrieb ist bereit, auch die Politik hat den Daumen hochgereckt.
Vor vier Wochen sprach ich mit Jan-Henrik Gruszecki vom Fanbündnis Südtribüne in Dortmund über die möglichen Szenarien.
Der Kenner der Ultraszene äußerte sich sehr deutlich: „Das wird natürlich eine Saison, die emotional komplett wertlos ist, die sportlich einen zweifelhaften Wert hat, aber die einfach jetzt kalt erfüllt werden muss, damit rein formal die Bedingungen erfüllt werden können. Es müssen 34 Spiele gespielt werden, damit die TV Sender die Summe bezahlen müssen“, so seine Einschätzung. Das komplette Interview ist übrigens in der ZDF-Mediathek zu sehen.
Das war Ende März. Jetzt trafen wir uns wieder, um nach dem Vorstoß der DFL nocheinmal abzugleichen, ob es bei der Haltung geblieben ist.
Im Prinzip ja. Aber, so schränkt Grzuszecki jetzt ein, „mit einer großen Risiokominimierung und der Zusage, dass sich dann später etwas ändert, dann ist das schon ganz okay, dass ihr die Saison zu Ende bringt.“
Aber: Was muss sich nach Corona ändern? Auch da ist Gruszecki klar: „Wir müssen sehen, dass die Vereinskultur in Deutschland nicht komplett untergraben wird. Wir haben allein in der Bundesliga vier Vereine, die komplett von Unternehmen oder Privatpersonen subventioniert werden. Das hat auch dafür gesorgt, dass sich die Spirale immer weiter gedreht hat.“ Man müsse in der Deutschland da wieder hinkommen, dass Fußball nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern auch ein Kulturgut sei. Dazu müsse aber auch der Fan seine Ansprüche herunterschrauben. Also auch mal einen 14. Platz oder sogar Abstieg in Kauf nehmen, für das Kulturgut Fußball.
Das geschehe bereits. Einem Fan von Arminia Bielefeld oder dem 1. FC Köln sei es herzlich egal, ob die Bayern in der Gruppenphase, Viertelfinale oder Halbfinale der Champions League ausscheiden.
Für die Anhänger aus Bielefeld und Köln ist das Wurscht, für ihre Clubs sind diese Ziele utopisch.
Und Gruszecki erwartet eine Reaktion der Bundesligaspieler: „Der Lizenzspieler-Etat ist der größte Etat in jeder Bilanz. Das soll auch so bleiben. Allerdings muss da gekürzt werden. Aber das sind die größten Profiteure des Systems, die dafür verantwortlich sind, dass die Vereine mit dem Rücken zur Wand stehen. Da muss der nächste Schritt kommen. Viele Spieler verzichten gerade auf 10, 15, 20 Prozent ihres Gehaltes. Aber da erwarte ich noch deutlich mehr.“
Und Gruszecki ist auch selbstkritisch mit sich und den anderen Fans: „Wir gehen in die Stadien, wir bezahlen viel Geld für Eintrittskarten, für Zugfahrten, werden am Stadion nur mittelmäßig behandelt und die Kohle landet am Ende bei Anfang 20-jährigen Millionären. Natürlich ist komplett absurd, was wir Fußballfans machen, aber das wissen wir.“
Meine Kollegen Claudia Neumann und Thomas Wark ziehen in einer langen Reportage im ZDF Bilanz und wagen einen Ausblick in Sachen Profifußball: Entstehung einer neuen Vernunft „Lockdown oder Lockerung?“. Auch darin kommt Jan-Henrik Gruszecki zu Wort.
Zum Neustart der Liga und zur Vorlage der DFL-Konzepte hat sich meinn Kollege Oliver Schmidt seine eigenen Gedanken gemacht und stark kommentiert.
Nach dem Interview mit Jan-Henrik Gruszecki traf ich mich noch mit Jost Peter von Unsere Kurve, eine bundesweite Interessengemeinschaft von organisierten Fans. Er schlug das Essener Stadion an der Hafenstraße als Treffpunkt vor. Der Fan von Rot Weiss Essen hat eine klare Meinung zu Geisterspielen: „Wir sind hier gerade in Essen, Geisterspiele wären der finanzielle Tod für unseren Verein, weil wir von den Zuschauereinnahmen abhängig sind“, so Peter im Interview. Aber in der zweiten Liga seien Geisterspiele als Hilfsmaßnahme denkbar. „Dass wir Geisterspiele brauchen, liegt daran, dass der Fußball zu sehr aufs Geld schielt und zu wenig nachhaltig ist.“
Hier fordern die Fans ein Umdenken nach den Erfahrungen aus der Corona-Krise. Der Fußball brauche die Fans und das Kulturgut Fußball. Hier erhofft er sich zukünftig mehr Aufmerksamkeit:
„Aus den Geisterspielen, die ich gesehen habe, geht auch hervor, dass die Mannschaften ohne den Push der Tribüne anders spielen und überraschende Wendepunkte im Spiel so nicht entstehen werden. Es wird sich zeigen, wie wichtig das Publikum für den Fußball ist.“
Mein Kollege Boris Büchler hat sich fürs ZDFspezial am 6. Mai Gedanken zu einem Neustart auf Bewährung gemacht. Die O-Töne von Jost Peter flossen in die Überlegungen ein.